Die Erotik des Grauens Macht dieser "Nosferatu" Klaus Kinski Konkurrenz?
Von Volker Probst 02.01.2025, 17:04 Uhr Artikel anhören
00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos | Feedback senden
Zwei Mal wurde die an "Dracula" angelehnte Geschichte von "Nosferatu" bereits prominent auf die Leinwand gebracht. Nun wagt sich Regisseur Robert Eggers daran, den Untoten erneut zum Leben zu erwecken. Erotisch, mit Gothic-Aura und Johnny Depps Tochter Lily-Rose in einer Hauptrolle.See AlsoYuma Ishigaki - Darsteller - Filmografie | cinetixx FilmeHorrorfans müssen nicht wieder Jahrzehnte warten: „Evil Dead“-Reihe kündigt direkt nächsten Film anAfraid: Der neue Horrorfilm von Blumhouse ist da! | Kritik & Story
Warum eigentlich "Nosferatu"? Dass die Geschichte nahezu eins zu eins von "Dracula" abgekupfert ist, ist kaum zu übersehen. Als Friedrich Wilhelm Murnau sie jedoch 1922 verfilmen wollte, hatte die Produktionsfirma nicht die Rechte an der Erzählung von Bram Stoker inne. Also wurden die Namen der Protagonisten geändert, die Handlung leicht abgewandelt und ein Hauptschauplatz von London ins fiktive deutsche Wisborg verlegt. Fertig war die Laube unter dem Titel "Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens" und mit Max Schreck in der Rolle des Grafen Orlok alias "Nosferatu", einem seit dem 19. Jahrhundert kursierenden Synonym für Vampir.
Murnau und seine Mitstreiter handelten sich mit der dreisten Urheberrechtsverletzung nicht nur jede Menge Ärger ein, der Film geriet seinerzeit auch zum finanziellen Misserfolg. Aus heutiger Sicht kaum zu glauben, gilt er doch inzwischen als Paradebeispiel für große Stummfilm-Kunst und Blaupause für das gesamte Horror-Genre.
Wohl nicht zuletzt deshalb entwarf Regisseur Werner Herzog 1979 eine "Hommage an Murnau", wie er seinen Film "Nosferatu - Phantom der Nacht" lieber bezeichnen wollte denn als Remake. Nun mutierte Wisborg zu Wismar, während sich Herzog bei der Benennung der Figuren wieder an Stoker orientierte, sodass aus Graf Orlok auch wieder Graf Dracula wurde. Die Reinkarnation des "Nosferatu", der seine spitzen Vampirzähne in unschuldsweiße Hälse rammt, übernahm dabei kein Geringerer als Klaus Kinski. Dass seine Darstellung ikonisch ausfiel, kann bei dem stets zwischen Genie und Wahnsinn pendelnden Schauspieler kaum verwundern, passte die Rolle doch zu ihm wie ein Pfahl in das Herz eines Untoten.
Mit Graf Orlok zurück in Wisborg
Klar, dass die Marke "Nosferatu" auch noch für einige andere Filme herhalten musste. Zum Beispiel 1994 für "Nosferatu - Vampirische Leidenschaft", der jedoch nichts mit der klassischen "Dracula"-Erzählung gemein hat. Stattdessen handelt es sich um ein in die Neuzeit verlegtes B-Movie - und einen ziemlich dunklen Fleck in der Schauspielkarriere von Alyssa Milano, die hier reichlich nackte Tatsachen präsentiert. Eine Referenz, wenn es um "Nosferatu" geht, sind daher nur die Werke von Murnau und Herzog.
Sie sind es natürlich auch, an denen sich US-Regisseur Robert Eggers orientiert, wenn er sich nun als erster nicht-deutscher Filmemacher ernsthaft dem Thema stellt. 45 Jahre nach Kinski schickt er in "Nosferatu - Der Untote" Parade-Bösewicht Bill Skarsgård in die Spur, um dem Blutsauger eine abermalige Frischzellenkur zu verpassen. Noch dazu hat er Johnny Depps Tochter Lily-Rose, "Avengers"-Star Aaron Taylor-Johnson, "The Crown"-Darstellerin Emma Corrin und Hollywood-Ikone Willem Dafoe an Bord.
Eine gewisse Ironie birgt der Umstand, dass auch Nicholas Hoult zum Ensemble gehört. Nachdem er in der Klamotte "Renfield" 2023 noch Draculas durchgeknallten Handlager verkörpert hatte, wechselt er in "Nosferatu - Der Untote" prompt die Seiten. Jetzt wird er zum Hauptantagonisten des Vampirs - als Thomas Hutter und nicht etwa als Jonathan Harker, denn Eggers bezieht sich nun wiederum stark auf Murnau. Da wird dann aus Wismar auch wieder Wisborg und aus dem Grafen Dracula der Graf Orlok.
Entsättigte Farben und Gothic-Flair
Die Handlung dürfte nicht allzu erklärungsbedürftig sein, denn sie ist altbekannt - ob aus "Dracula" oder "Nosferatu", ganz egal. Thomas Hutter reist nach Transsylvanien, um dort mit dem Grafen Orlok Geschäfte zu machen. Seine Frau Ellen (Depp) begibt sich unterdessen in Wisborg in die Obhut des befreundeten Paars Friedrich (Taylor-Johnson) und Anna Harding (Corrin). Schon seit jungen Jahren zieht sie eine ebenso finstere wie verführerische Macht in ihren Träumen in den Bann - als ihr Mann in die Fremde aufbricht, plagen sie dunkle Vorahnungen. So gerät dann Thomas Hutter auf Orloks Schloss auch prompt in die Fänge des Vampirs, ehe der sich in Richtung Wisborg aufmacht, um sich dort mit Ellen zu vereinen. Kann er mit vereinter Kraft und der Unterstützung von Wissenschaftler Prof. Albin Eberhart von Franz (Dafoe) aufgehalten werden?
Erotische Spannung liegt bei Vampiren immer in der Luft. Dazu muss man nicht erst "Twilight" rezitieren oder à la "Vampirische Leidenschaft" gar in Richtung Softporno abdriften. Sinnliche "Die Schöne und das Biest"-Szenen haben auch Murnau und Herzog zu bieten, wenn sich etwa der bleiche Kinski mit seinen langen Fingernägeln über keine Geringere als Isabelle Adjani hermacht, Frankreichs bildschöne Filmikone der 70er-Jahre. Gleichwohl legt Eggers in Sachen Erotik nun noch einmal eine Schippe drauf. Sein "Nosferatu - Der Untote" rückt die verhängnisvoll-finstere Leidenschaft zwischen dem Vampir und Ellen stark in den Fokus, die abermals von einer französischen Femme fatale gemimt wird: Lily-Rose Depps Mutter ist schließlich die französische Sängerin Vanessa Paradis.
Eggers hat seinen Film in derart entsättigten Farben eingefangen, dass dieser streckenweise beinahe wie eine Schwarz-Weiß-Inszenierung anmutet. Trotzdem oder gerade deshalb versprüht der opulent ausgestattete Streifen einen düsteren Gothic-Flair, dem man sich kaum entziehen kann. Auch Bill Skarsgård dürfte sich in seiner Rolle als "Nosferatu" deutlich wohler fühlen als noch im Remake von "The Crow", mit dem er zuletzt derbe auf die Nase gefallen war. Und das, obwohl er sein volles Blutsauger-Antlitz kaum zur Schau stellen darf. "Der Untote" ist zur Schattengestalt verdammt. Die Bühne gehört Lily-Rose Depp.
Solide und sehenswert
Eingerahmte Überraschung Robert Eggers schenkt Nicholas Hoult künstlichen Penis von Kollege
"Nosferatu"-Premiere, die Zweite Emma Corrin kommt schon wieder halbnackt
Da guckt sogar Nosferatu Emma Corrin trägt bei Premiere einen Hauch von Nichts
Eingeschworene Cineasten werden es vermutlich als Frevel begreifen, Eggers' Neuinterpretation mit den Werken von Murnau und Herzog in eine filmhistorische Reihe zu stellen. Doch sind wir ehrlich: Nach einem Stummfilm und dem Kinski-Remake, das im Lichte heutiger Sehgewohnheiten dann doch ziemlich behäbig daherkommt, hat der Streifen im Jahr 2024 durchaus seine Berechtigung. Einen ähnlichen Kultstatus wie seine beiden Vorgänger wird "Nosferatu - Der Untote" wohl nicht erlangen. Dennoch feiert Graf Orlok in dem Film eine solide und allemal sehenswerte Wiederauferstehung - nicht mehr und nicht weniger.
"Nosferatu - Der Untote" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.